Aurikeln - ein kurzer Abriss ihrer Geschichte
Die Geschichte der Aurikel ist überaus bemerkenswert. Diese Blume wird von Floristen und Malern, Botanikern und Hobbygärtnern gleichermaßen verehrt, in "Theatern" ausgestellt und ist Gegenstand harter Wettkämpfe. In ihrer langen Geschichte ist sie nicht nur von Königen und Herzoginnen, sondern auch von Weberei- und Bergarbeitern kultiviert worden. Wenngleich sie über viele Jahre vor allem in England beliebt war, so ist doch die Zahl der Aurikelsammler in der ganzen Welt erneut am steigen. Ein ganzes Arrangement von Aurikeln in voller Blüte hat auch heute noch die Strahlkraft, Jung und Alt zum Innehalten zu bewegen – aber nicht nur die Blume selbst ist faszinierend, sondern auch ihre Geschichte.
Ursprung der Aurikel
Trotz ihres exotischen Aussehens sind die Aurikeln, die wir heute züchten, direkte Nachkommen einheimischer europäischer Primel-Arten, vor allem aus den Alpen und den Pyrenäen. Der Name Primula auricula kommt von der volkstümlichen Bezeichnung "Bärenöhrchen", weil die Form des Blattes dem Ohr eines kleinen Bären ähnelt. Unsere heutige Aurikel stammt aus einer Kreuzung zwischen der wilden Aurikelart Primula auricula und der Behaarten Schlüsselblume Primula hirsuta.
Die große Bandbreite an Farben und Formen ist durch die gelben, rosafarbenen und roten Gene zu erklären, die sie von den ursprünglichen Elternpflanzen geerbt hat, aber vermutlich haben noch weitere Primelvarietäten zu ihrem Genbestand beigetragen.
Die erstaunliche Perfektion der Blumen ist durch jahrhundertelange, geduldige Arbeit von Hybridzüchtern erzielt worden, die auch heute noch immer bessere Sorten hervorzubringen suchen.
WIE DIE AURIKEL AUS DEN BERGEN KAM
Man geht davon aus, dass Aurikeln bereits im späten 15. Jahrhundert in Nürnberg kultiviert wurden, mit Pflanzen, die aus den Gebirgsregionen Bayerns, Österreichs und der Schweiz gestammt haben. Naturheilkundige notierten gewissenhaft Angaben zu ihrer Heilkraft, weil sie angeblich Übelkeit und Schwindel therapieren konnte, je nachdem, wo sie wuchs. Einer der ersten urkundlichen Erwähnungen dieser Pflanze zufolgte wurde sie von den Gärtnern des Kaisers Ferdinand I in Prag angepflanzt.
Clusius
Das 16. Jahrhundert war das Zeitalter der Pflanzenjäger und botanischen Expeditionen. Einer der wichtigsten botanischen Autoren seiner Zeit war Charles de l’Écluse, mit lateinischem Namen "Clusius". Dieser wurde von Kaiser Maximilian II in Wien zum Hofbotaniker ernannt. Als er in Wien war, besuchte er seinen Freund Professor Johannes Aichholtz, welcher der stolze Besitzer zweier offenbar unterschiedlicher Typen von Aurikeln war – eine war gelb (er nannte sie Auricula Ursi I), die andere pinkfarben (Auricula Ursi II) und erwies sich als P. hirsuta-Hybride. Ihm zufolge sammelten die örtlichen Kräuterfrauen deren Wurzeln und Blüten, um diese auf dem Wiener Markt zu verkaufen, und viele wurden offenbar von feinen Wiener Damen erworben, die sie in ihren Gärten pflanzten.
Clusius war einer der ersten, die Aurikeln detailliert beschrieben und ihren Wert hervorhoben. In seinem Buch Rariorum aliquot stirpium per Pannoniam, Austriam et Vicinas (1592) listete er 7 verschiedene Sorten Aurikeln auf. Sicher war er eine entscheidende Figur bei der Förderung der Aurikelzucht in Europa.
Die Aurikelsammler
Die Begeisterung für die Blumenzucht verbreitete sich schnell in ganz Europe, und die Menschen hielten stets nach neuen, noch attraktiveren Pflanzen Ausschau. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts kam eine starke Vorliebe für die farbigen Hybriden gegenüber der gelb blühenden Wildform auf. Dies ist auch die Zeit der "Blumisten" (in England damals "Florists" genannt); hierbei handelte es sich um Blumenliebhaber und Pflanzensammler, die hart daran arbeiteten, die verschiedenen Pflanzen durch Züchtung zu verbessern. Wegen ihrer faszinierenden Fähigkeit, eine große Vielfalt an Formen und Farben hervorzubringen, wurde die Aurikel eine der beliebtesten Liebhaberblumen (zusammen mit der Rose, Tulpe etc.), es entstanden kommerzielle Aurikelgärtnereien und Aurikeln begannen in Staudenkatalogen zu erscheinen. 1610 umfasste das Angebot von Conrad Sweert, eines holländischen Blumenhändlers gegenüber dem Römer in Frankfurt am Main, sechs verschiedene Sorten. Gleichzeitig wurde eine große Anzahl von Florilegien oder Blumenbestimmungsbücher herausgegeben. Eine davon war der Hortus Eystettensis, der 1613 vom Apotheker Basilius Besler für Johann Conrad von Gemmingen, Fürstbischof von Eichstätt, erstellt wurde, und drei Aurikeln enthielt.
Aurikeln in Deutschland
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wiesen Aurikeln eine große Bandbreite an Formen und Farben auf, und wir finden viele Abbildungen von den Gestreiften ("Stripes") und den Gefüllten ("Doubles"). Johann Christoph Volkamer veröffentlichte 1708 und 1714 ein zweibändiges Werk, die Nürnbergischen Hesperides, welches auch die Flora Norimbergensis mit integrierte. Die Aurikeln selbst wurden meist im Himmel fliegend dargestellt, über reich verzierten Landschaften, und hatten getupfte, gefüllte und rot-violett gestreifte Blüten.
Ein weiteres deutsches Werk, in dem Aurikeln abgebildet wurden, ist Phytanthoza Iconographia von Johann Weinmann, einem Apotheker in Regensburg. Darin enthalten sind 74 Aurikelillustrationen, bei denen manche spitz zulaufende Blütenblätter aufweisen, die am Ende grün sind. Als dann jedoch die Gerandeten ("Edges")
aufkamen, denen seitens der englischen Züchter sehr viel Aufmerksamkeit zuteil wurde (und die dann als "englische Aurikeln" bezeichnet wurden), waren es doch die alpinen Typen, die in der niederländischen Stadt Leiden im Vordergrund standen, und über Deutschland und Frankeich hinweg als "Luiker" (Lütticher) Aurikeln bekannt wurden.
Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach (1679-1738), Stadtgründer von Karlsruhe, war ein großer Pflanzensammler und trug in seinen Gärten circa 500 verschiedene Aurikeln aus ganz Europa zusammen. Er gab auch eine Reihe von Gemälden in Auftrag, auf denen die Blüten seiner Sammlung festgehalten wurden. Sein oberster Gärtner züchtete und verkaufte Aurikeln, und einige davon gingen an Christoph Jacob Trew, Autor des Werkes Hortus Nitidissimis. Es bestand aus Stichen von Georg Dionysius Ehret, begleitet von Anmerkungen zum Pflanzen und Pflegen. Er beschrieb gestreifte, bemehlte und alpine Aurikeln, hinterlässt uns aber auch eine Liste der Standards, welche die Aurikeln erfüllen sollten. Sehen Sie sich das Archiv online an.
Selbst Goethe war Aurikelliebhaber und ist angeblich eigens zu seinem Freund Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach gefahren, um dessen Sammlung von 400 verschiedenen Aurikeltypen im Schloss Belvedere bei Weimar zu sehen. Ab circa 1780 wurden viele Designer in Deutschland von Aurikeln inspiriert, und so finden wir sie sogar auf Meissener Porzellan.
Die Aurikeltheater
Ungefähr zu dieser Zeit begann es, dass Aurikeln in sogenannten "Theatern" ausgestellt wurden; hierbei handelte es sich um hölzerne Stellagen oder Etageren, die schwarz angestrichen und häufig mit Vorhängen und Spiegeln ausgestattet waren. Es ist schwer zu sagen, wo diese Tradition begann, aber Charles Guénin erwähnt in seinem Buch von 1732 die Stadt Tournai in Wallonien (heute das französische Sprachgebiet in Belgien), wo der Abt von Saint Michel immerhin 15 Aurikeltheater aufgestellt hatte!
Manche der Aurikeltheater sind auch heute noch zu sehen, so im Schloss Weikersheim im württembergischen Main-Tauber-Kreis, nicht allzu weit entfernt von Würzburg.
Das Aurikelfieber
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts brach in den Niederlanden und Flandern das "Aurikelfieber" (auch als "Aurikelmanie" bezeichnet) aus, das beinahe die Ausmaße des Tulpenfiebers erreicht hätte. Vor allem die Gefüllten (englisch "Doubles") wurden richtig teuer und für sehr viel Geld verkauft. 1799 veröffentlichte Friedrich August Kannegießer in Meißen eine Aurikelflora, welche Farbdarstellungen von 144 Kultivaren enthielt.
In Deutschland und Wallonien entstanden Aurikelgesellschaften und eine Fachzeitschrift berichtete sogar über Diebstähle von prämierten Aurikeln. Zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden in der niederländischen Stadt Leiden mehr als 1.000 verschiedene Kultivare zum Verkauf angeboten. Ab ungefähr 1850 kamen sie aber aus der Mode. Jenseits der Ärmelkanals war dies jedoch völlig anders.
Aurikeln in England
Das erste Auftreten der Aurikel in England wird oft mit der Ankunft flämischer Weber ab 1570 und der Hugenotten von 1620 bis 1685, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, in Verbindung gebracht. Die ersten "Florist Societies" wurden 1630 gegründet und trugen stark dazu bei, Aurikeln im 17. und 18. Jahrhundert in der breiten Bevölkerung bekannt zu machen. Nordenglische Bergarbeiter veranstalteten Feiern in ihren örtlichen Pubs – der Preis für die schönste Blume war dabei oft ein Kupferkessel. In Südengland waren es die oberen
Bevölkerungsschichten, welche zahlreiche Sammlungen in ihren herrschaftlichen Häusern hegten, und Aurikel-Spezialgärtnereien verkauften Kultivare zu hohen Preisen. Die industrielle Revolution und die Ankunft exotischer Pflanzen für die beheizten Gewächshäuser drängten die Aurikel etwas in den Hintergrund, aber um 1870 kam sie wieder groß in Mode. Viele Kultursorten verschwanden in den beiden
Weltkriegen, aber botanische Gesellschaften wie die "National Auricula and Primula Society", welche 1873 gegründet worden war, und einige Amateurzüchter hielten die Flamme am Leben, und Aurikeln sind auch im heutigen Großbritannien noch eine beliebte Blume. Man braucht sich hierzu nur das diesjährige Arrangement auf der Chelsea Flower Show anzuschauen!
Aurikeln heute
Mit Unterstützung der Liebhabergesellschaften werden diese faszinierenden Pflanzen auch heute noch in der ganzen Welt gepflanzt und ausgestellt. Auch heute noch finden regelmäßig Wettbewerbe statt, die sehr strenge Regeln für jede Show-Kategorie haben, die noch auf die Zeit der "Blumisten" zurückgehen. Über die letzten 50 Jahre wurden den Gefüllten ("Doubles") wieder neues Leben eingehaucht, und aufregende neue Gestreifte ("Stripes") werden entwickelt. Über die letzten 10 Jahre haben wir ein zunehmendes Interesse an der Haltung von Aurikeln feststellen können. Langsam aber sicher bauen sich die Liebhaber wieder Sammlungen auf, tauschen mit anderen Sammlern, posten Bilder auf Blogs, nehmen an Aurikelforen mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt teil, erstellen Pinterest-Seiten .... Das große digitale Aurikel-Revival ist da! Und wer weiß, was für aufregende neue Pflanzen demnächst erscheinen werden, und in welche Richtung die Neuzüchtung gehen wird. Eines aber steht fest – dies ist sicherlich nicht das letzte Mal, dass wir von ihnen hören werden!